Der nächste Tag wird dominiert von einem geradezu tranceartigen Zustand: Ich bin müde. Langsam machen sich unser hartes Programm, die ewige Helligkeit und unser Kollektivschlafzimmer bemerkbar.
Wir besuchen das Verlagshaus der beiden größten Zeitungen Grönlands: Sermitisiaq und Atuagagdliutit sind zweisprachig und erscheinen jeweils mit einer Auflage von 5000 Exemplaren im ganzen Land. Die beiden Redaktionen arbeiten eng zusammen und sitzen im selben Haus. Wir bekommen von einem älteren Herren eine kleine Führung durch die Büros, bevor er uns in ein anderes Gebäude führt. Im Verlagshaus ist nicht genug Platz für unsere Gruppe. Dann berichtet er von der Arbeit der Zeitungen: Atuagagdlituit erscheint dienstags und donnerstags, Sermitisiaqu freitags. Aufgrund dessen und der Tatsache, dass die Zeitungen in weit entfernten Siedlungen mitunter erst einen Tag später ankommen, sehen die Redakteure der Zeitungen sich nicht primär als Nachrichtenüberbringer, sondern eher als Kommentatoren und Interpreten derselben. Wer auf dem Laufenden sein will, greift sowieso eher auf die ständig aktualisierte Internetausgabe als auf die gedruckte Zeitung zurück. Er erzählt uns auch, dass die Zweisprachigkeit der Zeitung die Redaktion mitunter vor Probleme stellt - schließlich müssen die Artikel bis zum Druck nicht nur verfasst, sondern auch noch übersetzt werden. Ein großer zeitlicher Aufwand, der zudem dadurch vergrößert wird, dass die Sprachen so sehr verschieden sind. Ein Beispiel dafür ist der Name Atuagagdliutit, was in etwa "etwas lesenswertes, das nichts kostet" bedeutet - der dänische Name der Zeitung hingegen ist schlicht "Grønlandsposten".
Als nächstes steht ein Gespräch mit Aviâja Egede Lynge auf dem Plan. Wir treffen uns vor Nuuks Kulturhaus und wollen eigentlich in dessen Kantine mittagessen. Leider ist es aber relativ voll, so dass für unsere Gruppe - mal wieder - nicht genug Platz ist. Daher beschließen wir, das Mittagessen bis nach dem Gespräch zu verschieben. Schon auf dem Weg zu einer kleinen grünen Wiese im Koloniehafen knurrt mir der Magen - dabei hatte ich mich schon darauf gefreut, eine Rentierlasagne zu probieren...
Auch Aviâja sieht das grönländisch-dänische Verhältnis kritisch. Obwohl sie auch in der Universität arbeitet, wollte sie uns dort nicht treffen. Sie versteht sich nicht besonders gut mit denen, die noch von "Nord- und Süddänemark" reden. Schnell sehen wir warum: Sie redet lebhaft über das, was sie im heutigen Grönland stört. Spricht von einem "Mangel an mentaler Dekolonisation". Ebenso wie Julie Edel Hardenberg macht sie auf die Machtposition des Dänischen in der grönländischen Gesellschaft aufmerksam. Als wir ihr erzählen, dass wir beim Konzert der Julie Allstars gewesen sind, ist sie weniger enthusiastisch. "Die Frage ist doch, ob sie auch gewonnen hätten, wenn Julie nicht so wunderschönes Dänisch sprechen würde. Was wäre geworden, wenn sie nicht so assimiliert wären? Julie ist nicht nur eine gute Sängerin, sie ist auch eine gute Dänin." Als wir sie fragen, ob sie sich nicht doch ein bisschen freut, lächelt sie. "Schon, sie machen gute Musik." Dann geht es weiter mit ernsteren Dingen: die Industrialisierung, die in Grönland unglaublich schnell ging und die Frage, was ihr neues, globalisiertes, standardisiertes Leben mit den Grönländern macht. In diesem Zusammenhang kommt sie auch auf die Ernährung zu sprechen: Da die Menschen nicht viel Geld haben, leidet sie. "Traditionell isst man in Grönland saisonal: Fisch, Robbe, Wal. Aber wegen der vielen Regelungen ist vor allem Walfleisch mittlerweile so teuer, dass die meisten es sich kaum noch leisten können. Stattdessen kaufen sie aus Dänemark importiertes, billig produziertes Hähnchen- und Schweinefleisch von schlechter Qualität." Sie scheint ernsthaft besorgt um die Gesundheit der Grönländer zu sein. Ich selbst bin überrascht über den Walpreis: Schließlich ist das Hauptargument der Gegner des grönländischen Walfangs, dass nicht genug Nachfrage besteht und die Leute gar nicht so viel Walfleisch konsumieren. Die Tatsache, dass viele Grönländer sich das aber schlicht nicht leisten können, setzt das ganze in ein anderes Licht. Da die Preise für so gut wie alles in Grönland sehr hoch sind, war mir der besonders stolze Preis des Walfleisches noch gar nicht aufgefallen.
Auch ich könnte mittlerweile einen ganzen Wal verspeisen. Auch die Tüte M&Ms die zwischenzeitlich die Runde machte, konnte daran nichts ändern. Deshalb bin ich in gewisser Weise froh, als wir uns von Aviâja verabschieden. Auf dem Rückweg in die Stadt kommen wir am Fischmarkt vorbei. Auf ein paar Tischen werden verschiedene Fische angeboten - aber auch Robben- und Walköpfe. Mein Hungergefühl verschwindet für ein paar Minuten, denn dieses Bild fügt sich mit einem anderen vor zwei Tagen zusammen, als wir auf eben jenem Markt zwei Dorsche kauften und in einem kleinen Verschlag nebenan eine Robbe gehäutet wurde. Schon damals war ich schockiert, aber wenigstens waren da noch keine Walköpfe zu haben.
Wir gehen relativ schnell weiter und als wir dann zurück zum Kulturhaus kommen, habe ich mich wieder soweit erholt, dass ich eine Portion Pommes bestelle. Als mir die Bedienung jedoch mitteilt, dass das etwa eine Stunde dauern würde, sinkt meine Laune beträchtlich. Da der nächste Termin uns im Nacken sitzt, bestelle ich ein Käsebrötchen und tippe abwesend auf die Kaffeekarte - wenn schon keine Pommes dann doch wenigstens Koffein. Der Kaffe kostet dreimal soviel wie mein Brötchen. Ich bin verwirrt, aber zahle brav. Als ich dann alles in der Hand habe, wird mir schnell klar, warum ich so unglaublich viel für den Kaffee gezahlt habe: Das Getränk in meiner Hand ist Irish-Coffee. Auch gut. Trotz der Pommes-Panne bin ich dann doch ganz zufrieden mit meinem Mittagessen: Zwar ist nicht nur mein Getränk ist unerwartet, sondern auch der Rest meines Menüs: in einem Milchbrötchen mit Schokotropfen befindet sich eine Scheibe Gouda. Ich nehme einen argwöhnischen Biss und stelle fest - es ist gut! Mit dem Blutzuckerspiegel steigt dann auch endlich wieder meine Laune (oder lag´s doch am Kaffee?;)
Nach dieser Stärkung geht es weiter in das Nationalmuseum, wo wir von einem netten jungen Mann durch die Ausstellung geführt werden. Wir sehen Nationaltrachten und lernen, dass die Inuit in verschiedenen Teilen Grönlands nicht nur andere Anoraks trugen und ihre Schlitten etwas anders bauten, sondern dass auch die Sprachen differieren. Das offizielle heutige Grönländisch ist die Westgrönländische Variation. In einem dunklen, unheimlichen Raum werden uns Mumien von Inuit gezeigt, die im 14. Jh gestorben sind und unter Steinen beerdigt wurden. Eine gruselige Faszination geht von ihnen aus. Obwohl das Museum besser aufbereitet ist, als das in Kopenhagen, behalte ich nicht viel: mein müder Kopf quillt über von all den Eindrücken der letzten Tage und ich bin froh, als unsere Führung vorbei ist und wir wieder nach draußen in die Sonne treten.
Nach einem kurzen Umweg zum Büro des Weihnachtsmannes gehen wir langsam zurück zu "unserer" Turnhalle und werfen letzte Blicke auf die Hauptstadt, denn heute Abend werden wir weiterreisen. Das Packen verläuft ereignislos. Trotz dessen, dass 17 Menschen ihr Hab und Gut wieder zusammensammeln und verstauen müssen, findet sich außer einer vermissten Sonnenbrille alles wieder an. Stattdessen finden wir eine Socke, die offenbar niemandem gehört - zumindest bekennt sich niemand zu dem dunkelblauen, leicht müffelnden Stück Stoff.
Dann laden wir unser Gepäck in ein Taxi und machen uns selber zu Fuß auf den Weg zum Hafen. Dort wartet die "Sarfaq Ittuk" auf uns. Um 21 Uhr legt das Schiff ab und unsere 36-stündige Reise nach Ilullisat beginnt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen