Freitag, 18. Juni 2010
Der dritte Tag in der Hauptstadt
Nach dem Frühstück machten wir uns zu einer Wanderung in der Umgebung Nuuks auf. Man braucht zu Fuß nur etwa 30 Minuten ins Fjäll und so waren wir schnell der Zivilisation entronnen. Zuerst führte unser Weg uns an eine kleine Bucht in der ein ebenso kleiner Eisberg schwamm, den wir natürlich prompt fotografierten und befühlten. Auf dem selben Weg über Stock und Stein war auch eine Gruppe kleiner allesamt in verschiedenen Abstufungen von pink und rosa gekleideter Mädchen unterwegs. Sie schafften es, fröhlich lachend und ohne sich dessen bewusst zu sein, einige von uns perfekt ausgerüsteten Erwachsenen abzuhängen ;)
Auf unserer Wanderung waren wir fasziniert von der schönen Natur der Fjordlandschaft und wären beinahe zu nah an ein Kolkrabennest gekommen. Mir war nicht bewusst, wie groß diese Vögel eigentlich sind, bevor ich sie über mir kreisen sah. Diese Drohgebärden verfehlten ihre Wirkung nicht: wir machten einen großzügigen Umweg um die Tiere. In der Natur fanden wir jedoch nicht nur arktische Tiere und Pflanzen: Es liegt auch viel Müll herum, der aufgrund der fehlenden Vegetation nicht versteckt ist. Überhaupt ist, wie wir erfuhren, die Müllentsorgung eines der größten Probleme Grönlands.
Wir kraxelten auf mehrere Hügel, genossen die Aussicht über den Fjord und lachten uns bei zahlreichen Selbstauslöserfotos schlapp.
Als wir auf der Spitze des dritten Berges angekommen waren, stellten wir fest, dass auf der anderen Seite, nur 100m von uns entfernt die Stadt wieder begann: Dort standen ein paar blaue Reihenhäuser ;)
Am Nachmittag hatten wir wieder einen Termin im Parlament - diesmal mit der Regierungspartei. Eigentlich sollten wir auch Kuupik Kleist - Grönlands Premierminister - treffen, aber auch er war verhindert. Stattdessen erzählten uns zwei etwas seltsame Herren bei Kaffee und Keksen einiges über ihre Partei Inuit Ataqatigiit. Diese hatte letztes Jahr die seit 30 Jahren herrschenden Sozialdemokraten abgelöst, was ein großer Umbruch in der grönländischen Politik war. Als wir fragten, warum die Partei die Wahl gewann, wurde uns kurzerhand - und ohne weitere erklärende Worte - der 15minütige Wahlwerbespot gezeigt (auf http://www.youtube.com/watch?v=WmJSgIKu7LM gibt es den eigens dafür produzierten Song inklusive schön bebildertem Video zu sehen). Politik kann so einfach sein ;)
Abends trafen wir uns mit der Künstlerin Julie Edel Hardenberg - ein Erlebnis für sich. Julie wohnt in einem schönen Holzhaus mit Meerblick. Wir trafen sie in ihrem Atelier, welches einem Wintergarten ähnelt: da es größtenteils verglast ist, hat man auch hier einen tollen Blick auf den Fjord. Es gab - wie könnte es auch anders sein - Kaffee, Tee und Kekse und Julie begann von ihren Projekten zu erzählen. Sie ist sehr kritisch und auch patriotisch. Zum Beispiel hat sie einmal an Block P eine überdimensionale Grönlandflagge aufgehängt und ging zu einem politischen Empfang in einem aus der grönländischen Flagge geschneiderten Kleid. Sie möchte zeigen, dass Grönland noch weit entfernt ist von einer Entkolonisierung. Eines ihrer Projekte fand ich besonders spannend: Julie sprach ein halbes Jahr nur grönländisch. Dabei stellte sie fest, dass sie in eine soziale Isolation geriet und teilweise auch in Alltagssituationen, z.B. bei der Post Schwierigkeiten hatte, sich verständlich zu machen. Aufgrund ihrer strikten Weigerung, dänisch zu sprechen, verlor sie sogar einige Freunde. Dieses Projekt verdeutlicht das grönländische Sprachdilemma: Offiziell ist das Land zweisprachig (grönländisch-dänisch). Fakt ist jedoch, dass es nahezu unmöglich ist, ohne dänisch einen tollen Job zu finden und Karriere zu machen. Das soziale Gefälle in Grönland ist auch eine Frage von Sprachgrenzen. Die meisten Dänen, die ins Land kommen, um dort zu arbeiten, machen sich nicht die Mühe, die schwere Inuitsprache zu lernen. Dänisch ist zudem eine Art Statussymbol - wer gut dänisch spricht gehört tendenziell zur Oberschicht und möchte das auch nach außen hin demonstrieren. Aufgrund dieser Verhältnisse gibt es mittlerweile auch viele gebürtige Grönländer, die kein Wort grönländisch sprechen - ihre Eltern hielten es nicht für notwendig oder gar für ein Hindernis im Leben ihres Kindes. Ebenso gibt es weniger bilinguale Kinder, als man meinen könnte: Ist ein Elternteil dänisch, so wird meist auch zu Hause nur dänisch gesprochen um die Kommunikation zwischen den Elternteilen zu gewährleisten. Man erwartet von den Dänen nicht, grönländisch zu lernen und kommt ihnen wo es nur geht entgegen. Diese Machtposition der dänischen Sprache kritisiert Julie. Es geht nicht nur um fortgeführten Kolonialismus, sondern auch um Identiät - schließlich ist es nicht zuletzt die Sprache, die eine Gesellschaft zusammenhält. Zudem erwähnt sie praktische Aspekte: Wäre es in unserer heutigen globalisierten Welt nicht eigentlich sinnvoller in den Schulen statt Dänisch Englisch als erste Fremdsprache zu lernen?
Nach diesem ernsten Thema gehen wir zu leichteren Dingen über: Sie zeigt uns die Fotobände und Kinderbücher, die sie erstellt hat. In einem Buch sind zu jedem Buchstaben des Alphabets grönländische Zungenbrecher gesammelt. Julie lacht sich selbst total schlapp, als sie sie vorliest und ich bin so begeistert, dass ich es mir am nächsten Tag gleich kaufen möchte.
Nach zweieinhalb Stunden knurrt einem von uns der Magen und Julie fragt sofort nach: "Habt ihr denn schon zu abend gegessen??" Als sie hören muss, dass wir eben dies nicht getan haben, läuft sie trotz unseres höflichen Protests sofort hinüber in ihr Wohnhaus und kommt nach einer Weile mit Brot, Käse und Räucherfisch zurück. Auch eine Schale Obst hat sie dabei, auf die sich schnell alle stürzen. Da Obst und Gemüse hier so teuer sind, haben wir auf Grönland deutlich weniger davon gegessen als zu Hause. Es ist ein vortreffliches, gemütliches Mal. Julie raucht in der Zeit vor der Tür. Schon die ganze Zeit hatte sie immer wieder gefragt, ob denn von uns jemand rauchen würde. Jetzt wissen wir wieso. ;)
Nach dem Essen beschließen wir, noch in eine Bar zu gehen um dort weiterzuquatschen. Es ist mittlerweile fast elf Uhr und die tiefstehende Sonne taucht das mehr in glitzerndes Rot.
Da ein Glas Bier der örtlichen Brauerei ungefähr 12 Euro kostet, bin ich froh, dass mir Bier eh nicht schmeckt. Während ich also an meiner Cola nippe, quatschen wir mit Julie über alles mögliche: Politik, das aktuelle Stadtgespräch (wir!;), Musik... Sie scheint in der Bar so gut wie jeden zu kennen und so werden wir Zeugen vieler lauter freudiger Gespräche. Oft spricht Julie grönländisch und die anderen antworten auf dänisch. - "Sie wollen zeigen, wie gut sie dänisch können. Alles eine Frage des Status.", kommentiert Julie. Einige von Julies Bekannten kommen gerade von der Grönlandpremiere von Sex and the City 2. Als Julie uns kurz vorm Zapfenstreich um 0 Uhr in die Disko im Nebenraum der Bar führt, sehen wir sie dort zu bizarren Technobeats noch bizarrer tanzen -auch das ist Grönland.
Als wir um Mitternacht aus der Bar kommen, ist es taghell. Wir, die eben im Schummerlicht der Bar noch müde vor unserem Glas hingen, werden nun wieder hellwach und albern auf dem Weg zur Sporthalle lautstark herum. Wir sind nicht die einzigen: Es sind noch ein paar andere Nachtschwärmer unterwegs, die nun nach dem Schließen der Etablissements nach Hause gehen.
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ojoj, mycket skoj var det va? :) du kanske flytta utomlands efter universitetet? fundera pâ saken! :)
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