Freitag, 12. April 2013

2. April: Aufbruch nach Galizien

Schon um 6 Uhr stehe ich am Bahnhof. Für mich normalerweise keine Zeit, um schon durch die Welt zu laufen, aber ich habe einen guten Grund: Heute startet meine Exkursion nach Galizien. In einem Uniseminar hatte ich mich ein Semester lang mit diesem interessanten Gebiet beschäftigt, das heutzutage in Ostpolen und der Westukraine liegen würde. In der Region, die von 1867 bis 1918 zu Österreich gehörte, existierte lange Zeit eine ethnische und religiöse Vielfalt, die jedoch infolge der beiden Weltkriege zerstört wurde. Die Zeit in der k.u.k. Monarchie, in der Polen, Ukrainer, Juden, Deutsche und Armenier noch gemeinsam auf diesem Gebiet wohnten, wird in der Rückschau oft mythisch verklärt. Heute gehören die Regionen des ehemaligen Galizien zu den ethnisch homogensten Polens bzw. der Ukraine.


Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Galiz20.gif

Bevor ich diesen Landstrich jedoch sehen kann, steht erstmal eine lange Reise auf dem Programm: Bereits am Ostbahnhof treffe ich einige Kommilitonen,  die wie ich erstmal zum Treffpunkt in Frankfurt (Oder) gelangen müssen. Von dort geht es dann geschlossen mit dem Berlin-Warschau-Express weiter. Obwohl ich mich am Morgen noch ziemlich müde gefühlt hatte, schlafe ich wärend der Zugfahrt nur kurz - jetzt wo es endlich losgeht, bin ich doch munter.
Gegen zwölf erreichen wir die Station Warszawa Zachodnia. Dort erwartet uns eine erste Hürde: Die Platzreservierungen, die wir bei der Deutschen Bahn bestellt hatten, gelten nicht für unseren Anschlusszug und wir erfahren, dass dieser bereits so voll ist, dass wir auch keine Platzkarten mehr bekommen können. Nachdem wir eine Weile mit den Bahnmitarbeitern und untereinander diskutiert haben, beschließen wir, einfach Plätze für den darauffolgenden Zug zu reservieren und eine Stunde später zu fahren. Das Risiko, auf der dreistündigen Fahrt nach Krakau im Gang zu stehen, möchten wir nicht eingehen. Immerhin: Die Platzreservierungen sind kostenlos.
Da wir jetzt etwas mehr Zeit in Warschau haben, fahren wir zunächst zum Hauptbahnhof und machen in kleinen Grüppchen die unmittelbare Umgebung unsicher. Wenn man den Bahnhof verlässt, sticht einem zunächst der Kulturpalast ins Auge. Das höchste Gebäude Polens war ein Geschenk der Sowjetunion an Polen und ist deshalb noch heute bei einigen Polen eher unbeliebt. Trotzdem ist der Wolkenkratzer, in dem sich mehrere TV- und Radiosender sowie andere Kultureinrichtungen befinden, eines der Wahrzeichen der Stadt.

Die Warschauer Skyline mit Kulturpalast.

Nach einer kleinen Stärkung fahren wir schließlich weiter nach Krakau (poln.: Kraków), wo wir erstmal unser Gepäck im gemütlichen Hostel abstellen. Ehe wir von dort wieder loskommen, dämmert es bereits. Unsere erste Erkundung führt uns in das ehemals jüdische Viertel Kazimierz. Nachdem während der deutschen Besatzung fast alle Mitglieder der jüdischen Gemeinde Krakaus ermordet wurden, verfiel das Viertel zunächst. Inzwischen sind jedoch die meisten alten Gebäude saniert worden und viele Touristen besuchen das Viertel, das neben vier erhaltenen Synagogen zahlreiche Bars und Restaurants - teilweise mit jüdischer Küche - bietet.
Auch wir streifen durch das kleinstädtisch anmutende Kazimierz wo wir die Synagogen und alten Gebäude betrachten. Erstes Ziel unserer Besichtigung ist die Remuh-Synagoge, die auch heute noch für religiöse Zwecke verwendet wird. Nur wenige Meter davon entfernt steht die älteste Synagoge der Stadt, die bereits anfang des 15. Jahrhunderts errichtet wurde. Heute beherbergt sie eine Ausstellung zur jüdischen Kultur.

Das Tor zum Friedhof der Rehmu-Synagoge.

Nachdem wir eine Weile durch das Viertel flaniert sind, wird es Zeit für eine Stärkung: Am Plac Nowy gönnen wir uns an einem der in einem Rondell angeordneten Imbisse ein Zapiekanka - mit Käse überbackenes Baguettebrot. Ich entscheide mich für die traditionelle Variante mit Champignons und Kräutersauce. Mmh! Später löschen wir unseren Durst in der Szene-Bar Alchemia.
Danach mache ich mich mit ein paar Kommilitonen noch auf den Weg ins Stadtzentrum. Wir müssen uns beeilen, damit wir eines der Wahrzeichen der Stadt nicht verpassen: den Hejnał. Dies ist ein Trompeter, der zu jeder vollen Stunde vom Turm der Marienkirche aus eine Signalmelodie in alle vier Himmelsrichtungen spielt. Darum, weshalb er das Lied nie zu Ende spielt, rankt sich eine Legende: Bei einem Mongolenangriff 1241 spielte der damalige Trompeter das Alarmsignal, wurde aber von einem Pfeil getötet, bevor er die Melodie beenden konnte. In Erinnerung an dieses Ereignis bricht auch heute noch das Lied mittendrin ab. Zwar kann ich später nicht genau sagen, ob ich den Trompeter wirklich gesehen oder mir doch nur eine Silhouette auf dem Turm eingebildet habe, trotzdem ist es ein toller Moment, auf dem Marktplatz inmitten angestrahlter historischer Gebäude und erwartungsvoller Zuhörer den Hejnał blasen zu hören. Danach machen wir uns auf zum Wawel. Auch die ehemalige Residenz der polnischen Könige ist beleuchtet. Wir umrunden sie und genießen noch ein wenig das besondere Flair des nächtlichen Krakau.


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