Den Beginn unserer Schiffsreise erleben wir an Deck. Während Nuuk langsam aus unserem Blick entschwindet, verlassen wir den ruhigen Fjord und steuern in einen scharfen, kalten Seewind hinein. Eben jener veranlasst uns dann auch relativ schnell, uns in das warme Innere des Schiffes zu begeben. Den Rest des Abends sitzen wir in der sogenannten Lounge und sehen durch die Panoramafenster hinaus, während wir immer weiter hinausfahren und der Seegang zunimmt. Nach einer Weile wird das anfangs muntere Geschnatter leiser: Nicht allen bekommt das Auf und Ab des Schiffes in den Wellen. Da ich vorsorglich eine Reisetablette genommen habe, geht es meinem Magen zwar gut, ich selbst bin aber wieder hundemüde.
So kommt es, dass zuerst die Seekranken und dann ich schnell ins Bett verschwinden und der Abend für die Meisten deutlich kürzer wird als die Nächte in Nuuk. Der nächste morgen beginnt spät. Ich schlafe lange und hätte wohl noch länger geträumt, wenn nicht meine Mitbewohner in der 4-Mann-Kajüte schon um kurz vor 10 aufgestanden wären ;)
Frisch und erholt geht es zum Frühstück. Ich bestelle eine dickflüssige Heiße Schokolade und mampfe entspannt mein Marmeladenbrot. Dann schlüpfe ich wieder in meine Jacke und ab geht´s aufs Deck. Der Himmel ist strahlend blau, die See ruhig und wir fahren wieder dicht an der Küste, sodass wir noch ein wenig von Grönland sehen können. Ein schroffes Land mit schneebedeckten Bergen zieht an uns vorbei. Ab und an sind auch kleine Siedlungen zu sehen. Leider entdecken wir auch einige Müllkippen.
Schließlich begebe ich mich wieder unter Deck und beginne Karten zu schreiben. Seltsamerweise fällt es mir trotz all der tollen Erlebnisse schwer, die Kartentexte zu formulieren. Ich hätte viel zu sagen - aber aufgrund des begrenzten Platzes auf einer Postkarte mühe ich mich ab, die Dinge so kurz und trotzdem so anschaulich wie möglich zu beschreiben. Ich scheitere kläglich und so verkommen meine grönländischen Postkarten zu einem Einheitsbrei: An die frohe Botschaft, dass ich (entgegen den Befürchtungen einiger besorgter Mitmenschen ;) nicht erfroren bin, schließen sich Auflistungen der Dinge an, die wir gemacht haben.
Um 18.30 Uhr erreichen wir Sisimiut, die zweitgrößte Stadt Grönlands und haben zweieinhalb Stunden Landgang. Schnell stellen wir fest, dass "groß" ein sehr relativer Begriff ist: Die kurze Zeit reicht aus, um einen umfassenden Eindruck von der Stadt zu gewinnen. Zunächst schlendern wir zur Kirche des Ortes. An einer dort stehenden Büste eines Landrates fällt uns auf, dass hier alles nur noch auf grönländisch beschriftet ist. Vom Kirchhügel erblicken wir ein wüstes, teilweise umgepflügtes Stück Land. Als wir neugierig näher hinsehen, erblicken wir ein einzelnes weißes Kreuz - offenbar schauen wir auf einen alten Friedhof. Mich überläuft ein kurzer Schauer: In Ermangelung der Bäume und Blumen, die man von deutschen Friedhöfen gewohnt ist, gleichen Friedhöfe auf Grönland Kriegsgräberfeldern: Symmetrische Reihen weißer Holzkreuze, darunter ab und an ein paar Plastikblumen. Dieser unbehagliche Eindruck ist hier durch die offensichtliche Verwahrlosung des Geländes noch verstärkt.
Als nächstes kommen wir an einer aus Torf und Stein errichteten Hütte vorbei. In solchen Behausungen wohnten die ersten europäischen Siedler auf Grönland.
Wir setzen in kleineren Gruppen unsere Stadterkundung fort. Im Zentrum des Ortes ist ein Supermarkt. Ich muss hinein. Schließlich haben wir mit dem Boot den Polarkreis überquert und das Wetter ist gut. Ich will ein Eis. Gesagt getan. Ich kann sogar meine Begleiter für die Idee gewinnen und so schlecken wir gemeinschaftlich-genüsslich die kalte Süßigkeit. 75km über dem Polarkreis! Danach geht es weiter durch die Stadt, die uns bald an Nuuk erinnert: Auch hier entdecken wir große, triste Wohnblöcke. Kurz vor ihnen befindet sich ein noch benutzer Friedhof. Abgesehen von diesen architektonischen Ähnlichkeiten hat Sisimiut nicht viel mit Nuuk gemein: Es fehlt das europäische Flair und die Lebhaftigkeit in den Straßen. Sisimiut erscheint dagegen eher seelenlos. Ein Wohnort, aber nicht unbedingt ein Ort zum Leben. Obwohl wir auf unserer Reise das erste Mal Schlittenhunde sehen, kann ich mir nicht vorstellen, im Winter hierher zu fahren.
Als das Schiff weiterfährt sind wir, wie so oft, an Deck. Den Abend verbringen wir dann gemütlich quatschend.Diesmal dauert es länger, bis wir ins Bett gehen.
Am nächsten Morgen werde ich von meinen aufgeregten Kajütengenossen geweckt. Sie zeigen mir einen großen, bläulich leuchtenden Eisberg, der gerade an unserem Fenster vorbeizieht. Natürlich bin ich völlig begeistert. Als ich ein paar Minuten später in voller Montur an der Theke stehe, um meine Morgenschokolade zu bezahlen, lässt die Bedienung auf sich warten. Obwohl sie mich gesehen hat, kramt sie seelenruhig weiter in der Küche herum. Offenbar hat sie kein Verständnis für meine Ungeduld - schließlich fährt sie ständig mit dem Schiff durch ein Meer voller Eisberge. Da es für mich aber die erste Eisberg-Erfahrung ist und ich zudem in meiner Jacke zerfließe, gehe ich schließlich ohne zu bezahlen mit der Tasse an Deck. Dort ist schon die ganze Reisegruppe versammelt und bewundert das Eis. Die Sonne scheint und lässt die Eisberge blau schimmern. Man kann auch gut den Teil unter Wasser sehen, der durch das Wasser grün erscheint. Wir alle machen unglaublich viele Fotos, nehmen die Eisberge von allen Seiten unter die Lupe. Einige erzählen, dass sie am frühen morgen schon Wale gesehen haben. Ich bin nur kurz neidisch - die Eisberge sorgen dafür, dass ich die verpassten Wale schnell vergesse.
Als wir uns Ilulissat nähern, sehen wir auch andere Schiffe: Ein paar kleine Fischerboote und ein graues Militärschiff, das mir hier völlig deplatziert vorkommt.
Als wir dann in den Hafen einfahren begrüßt uns ein rötlich-brauner Schmutzfilm auf dem Wasser - wilkommen zurück in der Zivilisation.